Wenn ich erzähle, dass ich einen Newsletter schreibe, kommen meist Fragen, was ich da genau mache. Hier kommt die Antwort darauf. Ich bin ein bisschen abgeschweift und rede auch über Journalismus, Nacktbilder und nichts weniger als die Zukunft. Viel Spaß beim Lesen! Ich freue mich wie immer sehr über euer Feedback.
Mit E-Mails lässt sich Geld verdienen
Substack wurde 2017 von drei Techbuddies in den USA gegründet. Das Geschäftsmodell ist einfach: Autor:innen und Journalist:innen können schnell und unkompliziert einen Newsletteraccount aufsetzen und so ihre Inhalte an Abonnent:innen verbreiten. Substack verdient erst dann anteilig 10 Prozent, wenn der Newsletter durch bezahlte Abos Einnahmen generiert. Dieses Modell läuft gut. Angetrieben durch die Coronapandemie und einer damit einhergehenden weiteren Beschleunigung des Stellenabbaus in Redaktionshäusern und knappe Freelancegigs für Journalist:innen, veröffentlichen viele von ihnen nun auf Substack. In den Monaten März bis Mai 2020 hat sich die Zahl der aktiven Newsletterautor:innen verdoppelt. Die damit verbunden Einnahmen sind um 60 Prozent gestiegen. Mit fast als veraltet geltenden E-Mails lässt sich also noch richtig Geld verdienen. Der Jahresumsatz des bisher erfolgreichsten Newsletterformats The Dispatch hat im März die eine Millionen Dollar Marke geknackt. Die US-amerikanische konservative Nachrichtenplattform macht sich selbsterklärt faktenbasierten Journalismus zum Ziel, für den Abonnent:innen monatlich ab 10 Dollar zahlen können.
Ein zweiter Blogging Boom
Auch in Deutschland ist das “ich schreibe jetzt einen Newsletter” das neue Sauerteigansetzen der Coronahobbies. Die meisten Formate sind hierzulande noch kostenlos oder haben nur einige exklusive Inhalte für zahlende Abonnent:innen. Ich finde in meiner Inbox Newsletter zu interessanten Netzfunden der Autorin Berit Glanz, skurille Listen (z.B. “Some fun ideas from the Middle Ages for staying healthy”) und bezahle auch für die Texte der Autorin Haley Nahman, die mich dazu inspiriert hat selber einen Newsletter zu schreiben.
Das Schreiben fühlt sich für mich so an wie die arbeitsintensivere Version meines alten Tumblrblogs. Statt sorgsam feministische Memes und süße Tierfotos zu kuratieren schreibe ich Texte. Während ich für letztere noch auf der Suche meines Stils bin, finde ich meine Persönlichkeit ehrlicherweise heute immer noch treffend durch dieses Bild eines Corgi in Jorts ausgedrückt, dass ich 2013 gespostet habe:
Mit dem Schreiben von beinahe befreundet bin ich in guter Gesellschaft. Mit Plattformen wie Substack, Medium oder Onlyfans erlebt das Internet gerade einen Anstieg an individualisierten Contentplattformen, welche an die Blogkultur der späten 00er Jahre erinnert. Ich habe damals vor allem Modeblogs gelesen. Einige ihrer Gründer:innen sind heute auf Instagram wiederzufinden, wo sie als Influencer:innen mit bezahlten Kollaborationen Geld verdienen. Auf den genannten neu entstandenen Plattformen zahlen User:innen direkt für exklusiven Content ohne Werbung.
Neue Plattformen geben dir was du willst
Onlyfans bietet Sexarbeiter:innen und Erotikmodels die Möglichkeit auf zahlende Fans zugeschnittene Fotos und Videos zu veröffentlichen oder sich gegen Geld direkt mit ihnen zu unterhalten. Dabei ist das Versprechen der Plattform, den Nutzer:innen mehr Kontrolle über die Inhalte zu geben als gängige Pornowebseiten. Auch Onlyfans hat während der Coronakrise starken Zuwachs verzeichnet. Die Möglichkeiten Sexarbeit auszuführen sind stark eingeschränkt und viele Menschen verbringen noch mehr Zeit als sonst vor ihren Bildschirmen. Im April gab es nach Aussagen des Onlyfans Chef Thomas Stokely bis zu 200 000 neue Nutzer:innen pro Tag. Zu den Dienstleistungen von Sexarbeiter:innen gehört es auch, emotionale Arbeit zu leisten: Den Kund:innen das Gefühl zu geben, gesehen und gehört zu werden, eine persönliche Beziehung aufzubauen. Mit Onlyfans wird diese persönliche Beziehung ins Netz verlegt. Kund:innen können DMs schreiben, individuelle Wünsche für Content äußern und als “Fan” die Inhalte von einzelnen Erotikdarsteller:innen abonnieren.
Onlyfans bedient zwar eine andere Zielgruppe als Publishing-Plattformen wie Substack und Medium, der Kern der Geschäftsmodelle ist aber ähnlich: Mehr als WAS man folgt, zählt WEM man folgt. Das Erfolgsrezept ist eine Beziehung und Vertrauen zwischen Content Creator:innen und Nutzer:innen aufzubauen. Substack schreibt gezielt Autor:innen und Journalist:innen an, die bereits eine große Zahl an Follower:innen auf Twitter haben und schlägt ihnen vor, einen Newsletter zu schreiben. Die Grundlage für einen erfolgreichen Newsletter sind schließlich Leser:innen, die im Einzelnen an der Meinung und den Inhalten der Verfasser:innen interessiert sind.
An Fakten sparen zahlt sich nicht aus
Liest man die Liste der Substack Newsletter mit der größten Leser:innenschaft werden die Meisten von Journalist:innen verfasst. Unter ihnen ist auf Platz 6 der Mitbegründer der US-amerikanischen Enthüllungsplattform The Intercept Glenn Greenwald. Spätestens seit seiner Zusammenarbeit mit dem Whistleblower Edward Snowden erlangte dieser weltweite Bekanntheit als investigativer Journalist. Auch deswegen wurde sein Ausstieg aus The Intercept medial viel Aufmerksamkeit geschenkt - aber vor allem auch wegen seiner Begründung, die er in seinem daraufhin gegründeten Newsletter veröffentlichte. Darin warf er den Editor:innen von The Intercept vor, einen seiner Texte über den damals noch nicht gewählten Präsidentschaftskandidaten Joe Biden zensiert zu haben und beklagt eine seiner Ansicht nach zunehmende repressive Ideologie von liberalen Medienhäusern:
Neben den schlechteren Berufaussichten für Journalist:innen in herkömmlichen Zeitungsredaktionen ist ein weiterer Beweggrund zum Starten eines Newsletters die Unabhängigkeit von diesen. Das bedeutet aber auch, dass von Schreiben, Überarbeiten bis hin zur Promo alle Aufgaben einer Zeitungsredaktion bei einer Person gebündelt werden. Dies erschwert arbeits- und zeitintensiven investigativen Journalismus. Vor allem aber umgeht das Selbstpublizieren den Schritt des Redigierens und Kritisierens einer Redaktion.
Was bedeutet es, wenn Journalist:innen ihre Texte als Newsletter veröffentlichen, ohne dass sie gegengelesen werden, also auch ohne Faktencheck oder Vier-Augen-Prinzip? Mein Hot Take: Der Unterschied zwischen selbstpublizierten Nachrichten und einer Telegrammgruppe, die nachts um drei über geheime Impfzentren unter dem Bundeskanzleramt informiert, ist, dass ich den einen mein Vetrauen schenken möchte, der anderen nicht. Dort wo das Konzept von Onlyfans Vorteile mit sich bringt - Unabhängigkeit und Passgenauigkeit auf die Zielgruppe - kommen individualisierte Publishingplattformen nicht mehr mit. Qualitativer Journalismus zeichnet sich immernoch durch das aus WAS publiziert wird.
Guter Journalismus kostet
Substack hat keinen Algorithmus wie Facebook, der Nutzer:innen in nur ein paar Klicks von Informationen über Globuli zu antisemitischen Verschwörungsmythen führen kann. Substack verbietet in den Guidelines Hate Speech zu publizieren. Trotzdem hinterlassen Aussagen wie von Glenn Greenwald einen schalen Geschmack, wenn sie redaktionelle Arbeit als Zensur bezeichnen. Vielen Journalist:innen geben Newsletter aber auch eine Möglichkeit ihr Einkommen aufzubessern, wenn sie es nicht mehr in Redaktionen verdienen können. Damit klebt Substack ein Pflaster auf die Printkrise, die eigentlich einen Druckverband bräuchte.
Trotzdem ist vor allem die Anzahl der zahlenden Abonnent:innen von Newslettern ein Zeichen für eine sich verändernde Medienlandschaft, die Zukunft hat. Mehr Menschen sind dazu bereit für Inhalte im Netz zu bezahlen. Die wenigsten stressen sich noch mit dem Wegklicken von Popupfenstern, bevor sie einen Film streamen und bingen sich lieber gleich durch ihre Netflixempfehlungen. Ähnlich komfortabel funktionieren die Redaktionsplattformen wie Krautreporter oder CORRECTIV. Hier zahlt man für unabhängigen Journalismus, es werden lesenswerte Reportagen empfohlen und verschiedene Meinungen vertreten. Auch die meisten Zeitungen haben einen Teil ihrer Texte mittlerweile hinter einer Paywall.
Auch wenn ich nicht möchte, dass Newsletter meine Zeitungslektüre ersetzen, bietet Substack für mich viele Vorteile. Ich konnte problemlos etwas Eigenes starten, das nach etwas aussieht und einfach in der Bedienung ist. Außerdem kann ich Formate anderer Autor:innen lesen, die ich so woanders nicht finde. Als Plattform für Journalist:innen sehe ich Newsletter als Übergang zu einer neuen Form des Online-Journalismus. Wenn sogar Emails noch einmal so erfolgreich werden konnten, überrascht uns bestimmt noch ein anderes cleveres Format, dass Qualitätsjournalismus gerecht wird und Journalist:innen eine Zukunft bietet.
Diese Woche Empfehlungen zum Thema Newsletter:
Ich lege euch den Newsletter des Magazins Reportagen ans Herzen. Er empfiehlt euch einmal die Woche Lesetipps der besten im Netz veröffentlichten Reportagen. Der Newsletter ist kostenlos, die Tipps beinhalten sowohl kostenlose als auch Bezahlformate.
Diese Woche wurde dort unter anderem die Reportage “Was wächst auf Beton?” über die Geschichte einer Familie jüdischer Kontingentflüchtlinge empfohlen. Falls ihr sie noch nicht gelesen habt, empfehle ich sie hiermit nochmal ausdrücklich!